Traumastörungen und so Zeugs
was man über PTBS (posttraumatische Belastungsstörungen) wissen sollte
Als klinischer Psychologe in Ausbildung merke ich grad, wie mich das Thema “Trauma” immer mehr interessiert. Ich hab mich nun eine Zeit eher für die spektakulären Krankheitsbilder wie paranoide Schizophrenie, ADHS oder für manische Episoden interessiert, aber das Trauma und seine Natur beschäftigt mich mehr und mehr. Vor allem weil es mir in einem Aha-Moment plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen ist: viele psychische Erkankungen wie Angststörungen, Depressionen, Sucht, dissoziative Störungen und so weiter, sind oft durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst. Also sogenannte “Traumafolgestörungen”.
Darum dacht ich mir, ich schreib mir mal einfach einen cheat-sheet, in dem ich mir alles wissenswerte über Trauma, die psychologische Theorie, und was es so zu wissen gibt, zusammenschreibe. Kurz und bündig, und für jeden verständlich:
1. Emotional Processing Theory (Foa und Rothbaum 1998)
Die Grundannahme des für PTBS (PostTraumatische BelastungsStörung) adaptierten Modells ist, dass traumatische Erinnerungen in „Furchtstrukturen“ im Gedächtnis gespeichert sind, diese sind ein Programm zum Umgang mit Bedrohung.
Furchtstrukturen arbeiten wie folgt:
Es sind Repräsentation von Reizen, die während des Traumas anwesend waren, die durch assoziative Lernprozesse mit behavioralen und physiologischen Reaktionen (z. B. wegrennen, sich verstecken, Herzklopfen, Schwitzen etc.) verknüpft sind, sowie die subjektive und emotionale Bedeutung dieser Reiz-Reaktions-Verknüpfungen (z. B. „Ich werde sterben.“).
Die Theorie besagt, dass sich das Furchtgedächtnis von Personen mit und ohne PTBS in wichtigen Merkmalen von “gesunden” Menschen unterscheidet. Eine pathologische Furchtstruktur ist durch unrealistische Assoziationen zwischen eigentlich harmlosen Reizen (bestimmte Kleidung in bestimmter Farbe, Bellen, ..) mit bedrohungsbezogenen Reizen (Täter, gefährliches Situation), Reaktionselementen (Angstreaktionen) und Bedeutungselementen (Gefahr) assoziiert. Die Furchtstruktur enthält bei PTBS besonders starke Reaktionselemente, z. B. Angst, physiologische Reaktionen oder Vermeidung. Die Anzahl der im Netzwerk repräsentierten Stimuluselemente ist besonders hoch.
Therapie:
Die Furchtstruktur muss in der Therapie aktiviert werden, damit die Integration korrektiver Informationen erfolgen kann, die inkompatibel mit den Elementen der Furchtstruktur sind (Rauch und Foa 2006). Die Habitation (Gewöhnung) während einer Konfrontationsübung nimmt ab, die Furcht nimmt ab. -> „prologierte Expositionstherapie“
2. Duale Repräsentationstheorie (Brewin et al. 1996):
Traumatische Erinnerungen werden in verschiedenen Gedächtissystemen gespeichert zb im „verbally accessible memory“ (VAM) und zum anderen im „situationally accessible memory“ (SAM). VAM ist intentional abrufbar, SAM nicht. SAM-Erinnerungen können durch Traumareize aktiviert werden. Hohe Erregung hemmt die Funktion des Hippocampus, was die Verarbeitung und Speicherung im VAM hindert. Zusätzlich führt die eingeschränkte kognitive Kapazität dazu dass vorzugsweise im SAM encodiert wird.
3. Kognitives Modell nach Ehlers und Clark (2000):
Bedrohung wird wahrgenommen obwohl schon abgeschlossen. Kognitiver Grund: negative Bewertung („ich habe schlecht reagiert“, „mein Leben ist für immer zerstört“). Es wird wenig konzeptuell und stark perzeptuell enkodiert (ähnlich wie bei den anderen Modellen).
4. Psychobiologische Ansätze:
Hypothalamus-Hypohphysen-Nebennieren-Achse (HHNA) -> Kortisol (Stress). Längerer Stress führt zu Anpassung der HHNA, und dadurch erhöhte Feedbacksensitivität.
Typ 1-Trauma: einmal kurzfristig
Typ 2-Trauma: mehrfach langfristig
Neurologische Funktion:
Hippocampus und entorhinaler Cortex vs Amygdala
In Stresssituationen können die Amygdala den Hippocampus hemmen, dadurch werden emotionale „heiße“ Gedächtnisanteile aus der Amygdala ohne Kontext („kalte“ Gedächtnisanteile - Hippocampus) aktiviert.
Äussere Erscheinung: Vegetative Erregunszeichen, emotionale Abgestumpftheit, Hypervigilanz, motorische Hemmung, emotionale Reaktionen, Angstsymptome, affektive Symptome, aggressive Symptome, dissoziative Symptome (zb. dissoziative Amnesie in Akutstadium)
Intrusion/Wiedererleben als zentraler Bestandteil der PTBS, belastende Träume, Flashbacks, symbolisierende Auslöser, physiologische Reaktion bei Erinnerung, Gedanken-und Gefühlsvermeidung, Aktivitäts-oder Situationsvermeidung, Teil-Amnesien, Interesseverminderung, Entfremdungsgefühl, Eingeschränktes Affektspektrum, Schlafprobleme, Reizbarkeit, Konzentrationsschwerigkeiten, Überwachsamkeit, Übermäßige Schreckreaktion
Seit ICD 11 (neues Diagnostikmanual seit 2022 aktuell): KPTBS (komplexe PTBS): -> andauernde Persönlichkeitsveränderung nach langandauernder Extrembelastung, Kernsymptome der PTBS plus zusätzlich: Probleme mit Affektregulierung, negatives Selbstbild bzgl. traumatischem Erlebnis (Scham, Schuld etc), Beziehungsschwierigkeiten.
Stichwort “Traumasensibiliät”: das sensible Vorgehen um sich langsam vorzutasten, Retraumatisierung zu verhindern
Gängigste Therapiemethoden und andere Fakten:
Bei Dissoziation: Psychoedukation, Zurückholen in den Moment mit Aufstehen, Körper abklopfen, was scharfes essen. Dissazion entgegenwirken indem die Person auf Balancebrett steht während es in das Gefühl rein geht.
Psychologisches Vorgehen bei traumatisierten Menschen:
Erst Stabilisierung, Ressourcenarbeit. Normalisierung, Validierung, Psychoedukation, „sicherer Ort“, Selbstwertübungen, Routinen als Halt
Exposition (prolongiert oder narrative (NET)), Somatic experiencing (Levine), EMDR (Shapiro), Verhaltenstherapie (Ehlers und Clark kog. Umstrukturierung, Traumakonfrontation (in sensu, in vivo)), immer mit Stabilisierungstechniken
NET (narrative exposure therapy): mittels lifeline-Technik die „heißen“ und „kalten“ Elemente (Emotionen und Kontext) zusammenzufügen, und somit eine Verarbeitung von Trauma zu „trauriger Erinnerung“ zu ermöglichen.
Diagnostik:
Kann erst ab 1 Monat nach Vorfall diagnostiziert werden
CAPS-5, PCL-5, ITQ; ITI-Traumafragebogen, Instrumente leider auf Ereignisse konzentriert, Bindungs und Entwicklungstrauma wird nicht wirklich erhoben, ausser KPTBS-Interview, für Kinder: KERF-Kinderinterview (nicht validiert)
Differenzialdiagnostik:
Belastung und Anpassungsstörungen, Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen (bei KPTBS <-> BPS), etc.
Wichtige Unterschiede zwischen komplexem Trauma und Borderline-Persönlichkeitsstörung sind, das KPTBS auf traumatisches Erleben zurückzuführen ist, BPS eher im Laufe einer dysfunktionalen Entwicklungsphase entstanden ist. bei BPS steht die Verlassenheitsangst und die Ideologisierung bzw. Abwertung von Beziehungen (oft in raschem Wechsel) im Vordergrund, und es gibt ein widersprüchliches Selbstkonzept.
Nicht komplett? Ja :-) aber vielleicht hast du trotzdem was gelernt. Falls mir etwas wichtiges entgangen ist: get in touch <3

